Projekt Europa

Wintereinbruch

(29 April 2023)

Ich hatte meine Taschen wieder einmal randvoll gepackt und war bereit für das nächste Abenteuer. Noch etwa 40 Kilometer trennten mich von der Küste, und ich bemerkte, dass mit jedem Kilometer, den ich näher kam, der Schnee langsam weniger wurde. Mein Ziel für den heutigen Tag war eine Kota – eine finnische Schutzhütte. Ich wusste nicht genau, was mich erwarten würde, da es auf Google Maps kein Bild davon gab. Es war ein reines Glücksspiel.

Die ersten zehn Kilometer hatte ich bereits hinter mir, doch es war schon fast drei Uhr nachmittags. Ich schob mein Fahrrad durch den tiefen Schnee, ohne zu wissen, ob sich die Strapazen überhaupt lohnen würden. Als es dann auch noch anfing zu schneien, wurde die Unsicherheit größer. Doch ich zog weiter, immer mit der Hoffnung, dass die Kota mich mit einem warmen Unterschlupf empfangen würde.

Als ich endlich ankam, fiel mir ein Stein vom Herzen – es hatte sich gelohnt! Ich betrat die Hütte, machte ein Feuer und kochte mir etwas zu essen. Während draußen der Schnee weiter fiel, wurde es drinnen langsam gemütlich und warm. In der Nacht sollten die Temperaturen auf -3 Grad fallen, also bereitete ich mich auf eine kalte Nacht vor. Mein Plan für den nächsten Tag war ambitioniert: 90 Kilometer bis zur nächsten Kota, in der Simon und Debbie diese Nacht verbrachten.

Am nächsten Morgen wachte ich in einer eisigen Hütte auf. Das Feuer war längst erloschen, und ich überlegte kurz, ob ich noch einmal nachlegen sollte, um mich aufzuwärmen. Doch die Zeit drängte, also entschied ich mich dagegen. Nach einem schnellen Frühstück packte ich meine Sachen und machte mich auf den Weg. Der Schnee hatte in der Nacht weiter zugenommen, doch die Hauptstraßen waren glücklicherweise geräumt. Ich radelte entlang der Bundesstraße, meistens auf dem Radweg. Links von mir lag irgendwo das Meer, doch der Himmel war grau und bedeckt, sodass ich kaum etwas erkennen konnte.

Gegen Mittag legte ich eine Pause an einer Tankstelle ein, um mir einen Kaffee zu gönnen. Ein freundlicher Finne sprach mich an, und nach einem kurzen Gespräch lud er mich auf einen Kaffee ein. Er bot mir sogar an, mich und mein Fahrrad mit dem Auto in die nächste Stadt zu bringen. Ich lehnte dankend ab – ich wollte meine Reise aus eigener Kraft fortsetzen, auch wenn das Wetter herausfordernd war.

Nach 50 weiteren Kilometern erreichte ich endlich mein Ziel. Ich hatte mir eine Unterkunft mit Sauna gegönnt – ein purer Luxus nach den eisigen Tagen auf dem Fahrrad. Ich war völlig durchnässt, mein Fahrrad war mit Schnee und Matsch bedeckt, aber die Aussicht auf eine heiße Sauna ließ mich alle Strapazen vergessen.

Ein paar Tage später fuhr ich weiter in Richtung Oulu. Die Wege waren täglich eine neue Herausforderung – mal vereist, mal von Schnee bedeckt. Und dann kam ein magischer Moment: Ich sah zum ersten Mal in meinem Leben das zugefrorene Meer. Ich stand am bottnischen Meerbusen und konnte in der Ferne die Küste Schwedens erkennen. Auf dem Eis sah ich einen Fischer, der dort mitten auf der gefrorenen Fläche sein Glück versuchte. Ich fragte mich, ob man einfach hinüberlaufen könnte oder ob es irgendwo brüchig werden würde. Eine verrückte Vorstellung!

Die letzten Kilometer des Tages waren besonders anstrengend. Als ich meinen Shelter erreichte, war mein Sattel durchgenässt und meine Kleidung klamm. Ich wickelte eine Plastiktüte um meinen Sattel und hoffte, dass mein Hinterteil bis zum Morgen wieder trocken sein würde. Die letzten Tage hatten mir gezeigt, wie unbarmherzig, aber auch wie wunderschön der finnische Winter sein konnte. Und so legte ich mich mit einem Lächeln in meinen Schlafsack – bereit für das nächste Abenteuer.

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