(03 April 2023)
Nach einer kurzen Verschnaufpause setzte ich meine Reise fort, mein nächstes Etappenziel war Litauen. Die Temperaturen waren winterlich, die Nächte fielen bis auf -4°C, doch das hielt mich nicht auf. Ich stieg auf mein Fahrrad und trat entschlossen in die Pedale. Der Frost lag morgens noch auf den Wiesen, und der Atem bildete kleine Wölkchen in der kalten Luft. Die Natur war karg, aber von einer eindrucksvollen Weite geprägt.
Kaum überquerte ich die Grenze, offenbarte sich mir die Weite Litauens: dünn besiedelte Landstriche, endlose Felder und kaum befahrene Straßen. Die gelegentlichen Auflockerungen der Wolkendecke ließen für einen Moment die Sonne durchscheinen, doch die klirrende Kälte blieb bestehen. Mit gleichmäßigem Tritt und konstanter Bewegung ließ sie sich jedoch aushalten. Die Straßen waren meist gut ausgebaut, führten durch sanft gewellte Landschaften und immer wieder an einsamen Gehöften vorbei, die wie kleine Inseln in der offenen Landschaft wirkten.
Am Nachmittag traf ich unerwartet auf Simon und Debbie, ein radreisendes Ehepaar auf dem Weg nach Skandinavien. Schnell entschieden wir uns, gemeinsam weiterzufahren. Die Gesellschaft war eine willkommene Abwechslung, und so meisterten wir gemeinsam eisige Graupelschauer und starken Gegenwind. Einige Tage blieben wir zusammen, teilten Geschichten und Erlebnisse und genossen die raue, aber eindrucksvolle Natur. Abends suchten wir gemeinsam nach geeigneten Plätzen zum Übernachten, oft versteckt in kleinen Wäldern oder auf abgelegenen Lichtungen, wo wir unsere Zelte aufschlugen und die Wärme eines einfachen Feuers genossen.
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In Klaipėda gönnten wir uns eine Pause in einem Airbnb und nutzten die Gelegenheit, einen Tagesausflug zur Kurischen Nehrung zu unternehmen, einem schmalen Landstreifen zwischen Ostsee und Haff, der für seine beeindruckenden Dünenlandschaften bekannt ist. Die Nehrung beeindruckte uns mit ihrer wilden Schönheit – endlose Sanddünen, durchzogen von schmalen Wegen, die durch die Kiefernwälder führten. Wir erklommen die höchsten Dünen und ließen unseren Blick über das scheinbar endlose Meer schweifen. Der Wind peitschte uns ins Gesicht, doch es war ein Moment der Freiheit und des Staunens.
Schließlich trennten sich unsere Wege, allerdings mit der Aussicht auf ein Wiedersehen in einer finnischen Hütte – eine Vorstellung, die den Abschied erleichterte. Ich setzte meine Route entlang der Ostseeküste fort, begleitet vom Rauschen der Wellen, und suchte mir am Abend einen geeigneten Schlafplatz. Doch das nächste Wiedersehen sollte nicht lange auf sich warten lassen. Die Ostsee zeigte sich in ihrer wilden, ursprünglichen Pracht: Hohe Wellen brachen an den sandigen Stränden, während Möwen in der steifen Brise kreisten. Die frische, salzige Luft verlieh der Reise eine ganz besondere Atmosphäre.
Die Wetterbedingungen blieben anspruchsvoll. In Lettland überraschte mich feiner, durchdringender Regen, der binnen kürzester Zeit meine gesamte Ausrüstung durchnässte. Schließlich baute ich mein Zelt in der Dunkelheit am Straßenrand auf – 390 Kilometer durch Lettland lagen noch vor mir. Da Finnland zu diesem Zeitpunkt noch weitgehend schneebedeckt war, entschied ich mich, die Etappe bewusst langsamer anzugehen. Laut Wetterprognosen war in etwa zehn Tagen mit einer Erwärmung zu rechnen. So nutzte ich die Gelegenheit, kleinere Dörfer entlang meiner Route zu erkunden. Ich kam mit Einheimischen ins Gespräch, die mir wärmende Getränke anboten und mich neugierig nach meinen Reiseerlebnissen fragten.
Die folgenden Tage forderten mir einiges ab: Sturmböen, Schneefall und eisige Temperaturen machten jede Etappe zur Herausforderung. Doch ich trat weiter, Schritt für Schritt, Kilometer um Kilometer. Ich wusste, dass Simon und Debbie nicht weit entfernt waren, und so überraschte es mich nicht, als sich unsere Wege erneut kreuzten. Gemeinsam bewältigten wir die anspruchsvolle 95-Kilometer-Etappe nach Riga – die lettische Hauptstadt.
Riga empfing mich mit einem letzten unvorhersehbaren Wetterumschwung: Kurz vor der Stadtgrenze setzte plötzlich dichter Schneefall ein, die eisige Kälte kroch mir in die Glieder. Ein warmes Zimmer wurde zur Notwendigkeit. Ich gönnte mir eine dringend benötigte Pause, wärmte mich auf und plante meine nächsten Schritte. Mein Schuhwerk war den Bedingungen längst nicht mehr gewachsen, sodass ein Besuch bei Decathlon unumgänglich war.