Projekt Europa

Der Jakobsweg - Auf dem Camino del Norte

(24 Oktober 2022)

Nach fünf Tagen Zwangspause im Zelt war es endlich soweit: Ich konnte meine Radreise fortsetzen. Eine hartnäckige Krankheit hatte mich ausgebremst, doch jetzt saß ich wieder im Sattel – noch etwas angeschlagen, aber voller Tatendrang. Gleich zu Beginn erwartete mich ein knackiger Anstieg, die perfekte Gelegenheit, um herauszufinden, wie fit ich wirklich war. Die Antwort: Es ging – nicht perfekt, aber immerhin.

Meine letzten Tage in San Sebastián hatten mich wieder etwas aufgepäppelt. Ein Cheeseburger und ein Eis hatten dabei wohl Wunder gewirkt. Kaum hatte ich sie verspeist, fühlte ich mich schon besser – manchmal braucht der Körper eben genau das. Jetzt lag der Camino del Norte vor mir, eine Route, auf die ich mich schon lange gefreut hatte. Sie würde anstrengend werden, aber das gehörte schließlich dazu.

Am Abend erreichte ich eine Pilgerherberge in Irun. Ohne Pilgerausweis war ich mir nicht sicher, ob ich dort übernachten durfte, doch die Herbergseltern waren entspannt. „Ich komme aus München, bin mit dem Rad unterwegs“, erklärte ich, und für acht Euro bekam ich ein Bett. Die Nacht war laut – Schnarchen überall –, doch ich schlief erstaunlich gut. Am nächsten Morgen startete ich früh, hungrig und motiviert, bereit für einen neuen Tag voller Abenteuer.

•••

Kaum war ich unterwegs, passierte das erste kleine Malheur: Die Sicherung meiner Vordertasche löste sich während einer Abfahrt. Zum Glück merkte ich es rechtzeitig und konnte sie wieder befestigen. Danach ging es weiter, vorbei an sanften Hügeln, durch dichte Wälder und über raue Schotterwege. Der Camino zeigte sich von seiner schönsten – und anstrengendsten – Seite.

Nach einigen Kilometern machte ich eine kurze Pause, um einzukaufen – eine Entscheidung, die ich schnell bereute. Direkt nach dem Supermarkt begann eine der steilsten Anstiege der Strecke. Beladen mit zusätzlichem Gewicht kämpfte ich mich nach oben, schiebend statt tretend, während mir der Schweiß in Strömen herunterlief. Ob ich Bilbao heute noch erreichte? Zweifel kamen auf. Wahrscheinlicher war, dass ich mein Zelt irgendwo in der Wildnis aufschlagen musste.

Und genau so kam es. Abseits der Straßen fand ich eine halbwegs ebene Stelle, die sich als überraschend ruhiger Schlafplatz entpuppte – abgesehen von der Tatsache, dass ich neben einem Airsoft-Feld campierte. Google Maps verriet mir, dass dort ab 8 Uhr morgens gespielt wurde. Also stellte ich mir den Wecker früh, um rechtzeitig aufzubrechen.

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Am nächsten Tag ging es weiter Richtung Bilbao. Ich kämpfte mit Höhenmetern, dem Wind und meinem Solarpanel, das mal funktionierte und mal nicht. In einem Café gönnte ich mir ein zweites Frühstück – dringend nötig, denn meine Energie war fast aufgebraucht. Das Café hatte zudem WLAN, sodass ich meine Navigationskarten aktualisieren konnte. Ein Muss, denn ohne genaue Routenführung war ich nur noch einer dünnen Linie auf dem Bildschirm gefolgt.

Bilbao

Kurz vor Bilbao fuhr ich durch ein Industriegebiet. Der Geruch von verbranntem Material lag in der Luft, es war heiß, und der Wind blies mir kräftig entgegen. Trotzdem freute ich mich, bald auf einem Campingplatz schlafen zu können. Doch kurz vor dem Ziel wartete noch eine böse Überraschung: Die Fähre, die mich ans andere Ufer bringen sollte, fuhr nur an Wochentagen – und heute war Montag. Also blieb mir nichts anderes übrig, als einen 15 Kilometer langen Umweg in Kauf zu nehmen.

Erschöpft, aber zufrieden kam ich schließlich an meinem Tagesziel an. Zwei Tage auf dem Camino del Norte lagen hinter mir, voller Höhen und Tiefen – im wahrsten Sinne des Wortes. Doch genau dafür war ich losgefahren: für die Herausforderungen, die unerwarteten Wendungen und die kleinen Glücksmomente unterwegs. Der Weg war das Ziel – und der Camino hatte gerade erst begonnen.

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